The Insider (1999)

Der Whistleblower ist die Krone aller Figuren aus der Arbeitswelt auf einer Kinoleinwand, mit der sich Angestellte im Zuschauerraum identifizieren können.

Seine eigene moralische Integrität ist Richtschnur für sein Handeln, und er setzt sich mit seiner Aussage oder Dokumentenweitergabe an Medien oder Strafermittlungsbehörden über das Interesse seines Arbeitgebers, seines Bosses, seiner Kolleg*innen hinweg. In der Realität – das zeigen viele Filme – ist solch eine Aussage mit einem hohen Preis verbunden; monetär wird der Verlust an Karriere, Reputation, materieller Sicherheit selten aufgewogen.

Al Pacino als integrer TV-Producer Lowell Bergman, Russel Crowe als Whistleblower Jeffrey Wigand (rechts). © Touchstone Pictures

Dieses Handeln no matter what ringt uns Respekt ab. Wer wäre, selbst wenn er über brisante Informationen verfügte, fähig, solche weitreichenden Opfer zu bringen (und dann womöglich jahrelang in der ecuadorianischen Botschaft in London auszuharren oder auf einmal in Russland zu leben)?

Angestellte können zu Whistleblowern, zu Firmengeheimnisverrätern im Dienste der Allgemeinheit werden, wenn ihr moralischer Kompass mit dem ihres Bosses nicht (mehr) übereinstimmt. Der Auslöser für den Geheimnisverrat muss nicht rein selbstlos und moralgetrieben sein; es kann auch zunächst eine persönliche Kränkung durch die/en eigene/n Chef*in vorliegen.

Vorbildliches Krisenmanagement bei Johnson & Johnson

Wie im Falle von Jeffrey Wigand. Was dieser unter einem moralisch integren Geschäftsgebaren versteht, ist ganz einfach: „Zum Beispiel James Burke, Präsident von Johnson & Johnson. Als er erfuhr, dass irgendein Irrer Gift in Tylenolflaschen[1] getan hatte, da brauchte er die Gesundheitsbehörde nicht, er wartete auch nicht, bis die ihm Auflagen machte. Er nahm sofort die Flaschen aus allen Regalen, aus jedem Laden in ganz Amerika. Das ging so! Und dann entwickelte er einen Sicherheitsverschluss. Für ihn war klar, dass ein Präsident natürlich ein guter Geschäftsmann sein muss, keine Frage. Aber er trägt außerdem Verantwortung. Deswegen wird er nicht zulassen, dass seine Firma ein Produkt liefert, das den Menschen schaden könnte.“ Für Johnson & Johnson unter James E. Burke hätte Wigand wohl um einiges lieber gearbeitet als für seinen jetzigen (Ex-)Arbeitgeber, das wird hiermit klar.[2]

Bis vor kurzem war der promovierte Chemiker Wigand Abteilungsleiter bei einem Chemiekonzern, der unter anderem Nikotin-Wirkungsverstärker für die Tabakindustrie erforscht und produziert. Als er bei seinen Forschungen auf gesundheitliche Gefahren eines speziellen Wirkstoffs stößt, verfasst er ein Memo an seinen Boss, um darauf hinzuweisen und von der Verwendung dieser Substanz abzuraten. Daraufhin wird er gefeuert. Sehr weitreichende Vertraulichkeitserklärungen, die er mit einem Abfindungspaket unterschreiben soll, machen ihn allerdings erst recht wütend – weil ihm sein Boss mit allen möglichen schwerwiegenden Konsequenzen droht und seine Loyalität anzweifelt, die eigentlich nicht in Frage stand.

Lowell Bergman (Al Pacino) an seinem Arbeitsplatz – dem Fernsehstudio. © Touchstone Pictures

In dieser Situation lernt Wigand zufällig Lowell Bergman kennen, Producer des Nachrichtenmagazins „60 Minutes“.[3] Die Sendung ist „das seriöseste, meinungsbildende TV-Nachrichtenmagazin in Amerika“, so das Selbstverständnis ihrer Macher. Obwohl Wigand wegen der Vertraulichkeitserklärung nur Andeutungen macht, wittert Lowell eine Story – und ist überzeugt davon, das Richtige zu tun. Weil es im Interesse der Allgemeinheit ist, dass sie erfährt, was Wigand zu sagen hat, und was die milliardenschweren Big-Tobacco-Konzerne bezüglich der suchterzeugenden Inhaltsstoffe ihrer Produkte verschleiern bzw. worüber sie laut Wigand schlicht lügen.

Wahre Begebenheiten

Insider (1999) beruht auf wahren Ereignissen, die am Ende in ein Urteil gegen die „7 Zwerge“, die Big-Tobacco-Konzerne mündeten. Jeffrey Wigand (Russell Crowe) plagen Skrupel, als er seine Tätigkeit und die seines Arbeitgebers nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Bis vor kurzem war ihm noch alles recht, was seinen gehobenen Lebensstil sicherte. Nun aber fühlt er sich gefangen im Aufstiegsmärchen mit Riesenhaus (noch nicht abbezahlt), Krankenversicherung speziell wegen der asthmakranken Tochter sowie mit einer Ehefrau und Mutter seiner zwei Kinder, die weder den folgenden sozialen Abstieg noch die äußerliche, physische Bedrohung der Familie aushalten kann. Dass er nicht die Augen verschließt, sondern – Hitzkopf, der er auch vorher schon so manches Mal war – sich gerade wegen der Drohungen seines Ex-Arbeitgebers für eine Aussage vor laufender Kamera wie auch an Eides Statt entscheidet, kosten ihn am Ende alles: Ehe und Familie, Status und Einkommen.

Als erstes muss er mit seiner Familie, die in einem Chalet mit einem Garten groß wie ein Golfplatz logierte, in ein moderateres Haus umziehen, das immer noch einen großen Garten aufweist, aber für Kentucky vielleicht wirklich klein ist. Weil andere große Firmen jemanden aus der Tabakindustrie nicht einstellen wollten (so Wigands Annahme), heuert er an einer High School an und peppt dort als späterer Lehrer des Jahres[4] mit anschaulichen Experimenten den Unterricht auf. Seiner Frau Liane (Diane Venora) versucht er anfangs noch, die Sache mit einer „small is beautiful“-Maxime schmackhaft zu machen: „Kleiner kann auch ein Vorteil für uns sein. Ich arbeite nicht mehr so viel, wir haben mehr Zeit für die Kinder, mehr Zeit für uns.“ Aber Hausfrau und Mutter Liane hat sich ihr Leben so nicht vorgestellt, wo nicht klar ist, wie die nächsten Rechnungen bezahlt werden sollen.

Mediendrama

In erster Linie ist Insider jedoch ein Mediendrama, in dem es darum geht, ob Amerikas „seriösestes Nachrichtenmagazin“ seinem Ruf gerecht wird, sprich, seiner Aufgabe als 4. Macht im Staate vollumfänglich nachkommt – und das Interview mit Wigand ausstrahlt. Und nicht auf Nummer Sicher geht und eine „Alternative Version“ sendet, ohne ihren „Kronzeugen“. Merger im Hintergrund, Verstrickungen der CBS-Geschäftsleitung in monetäre Anreize, rechtliche Bedenken, weil der Sender verklagt werden könnte, verhindern dies zunächst. Lowell Bergman (Al Pacino) gibt den integersten aller Journalisten, den Producer, der noch nie einen Informanten verraten habe. Unterstützt wird er anfangs von niemandem; die Kollegen wollen retten, was zu retten ist, ohne dem Sender zu schaden. Der Sender zuerst, die Story erst als Zweites. Spät erlebt dann aber auch Nachrichten-Anchor Mike Wallace (Christopher Plummer) am eigenen Leib, was es bedeutet, zensiert und geschnitten zu werden, als er in einem Wortbeitrag versucht, die Story zu retten.

Nachrichten-Anchor Mike Wallace (Christopher Plummer) geigt CBS-Geschäftsführerin Helen Caperelli (Gina Gershon) die Meinung.

Zu CBS-Geschäftsführerin Helen Caperelli (Gina Gershon) sagt er: „Nur weil wir im gleichen Laden arbeiten, heißt das nicht, dass wir denselben Beruf haben.“ Leute wie sie zerstörten das angesehenste und profitabelste Nachrichtenmagazin des Senders.[5]


Für wen?

  • Angestellte mit einem moralischen Dilemma;
  • Journalist*innen, Reporter*innen, Redakteur*innen, (TV-)Producer, Verleger*innen, kaufmännische Medienmenschen;
  • Beschäftigte, die gerade einen Aufhebungsvertrag aushandeln;
  • Geheimnisträger*innen in Organisationen;
  • Führungskräfte und Konzernlenker*innen.

The Insider. USA, 1999. Regie: Michael Mann. Buch: Eric Roth & Michael Mann, basierend auf einem Artikel von Marie Brenner.


[1] Mehr zum realen Tylenolfall und dem erfolgreichen Krisenmanagement bei Johnson & Johnson: https://en.wikipedia.org/wiki/James_E._Burke (abgerufen 17.2.2019)

[2] James E. Burke war von 1976 bis 1989 CEO von Johnson & Johnson. Er starb 2012. Die lobende Erwähnung in Insider wird er also noch gekannt haben.

[3] Das Nachrichtenmagazin „60 Minutes“ steht wie die Tageszeitung „Washington Post“ öfter im Zentrum eines auf wahren Begebenheiten beruhenden Mediendramas, in dem sich engagierte Journalisten bis aufs Äußerste für die freie Presse einsetzen – inklusive Informantenschutz, umfassendem Faktencheck und politischer Unbestechlichkeit. Und oft genug scheitern, meist am Geschäftssinn ihrer eigenen Herausgeber. In „Der Moment der Wahrheit“ (Truth, 2015) springen neben Nachrichten-Anchor Dan Rather (Robert Redford) auch Reporterin Mary Mapes (Cate Blanchett) und ihre Producer und Redakteure bei CBS über die Klinge.

[4] Weiß der Abspann vom wahren Wigand zu berichten.

[5] „We work in the same corporation doesn’t mean we work in the same profession. (…) You, and the people you work for, are destroying the most-respected, the highest-rated, the most-profitable show on this network!“ https://www.imdb.com/title/tt0140352/characters/nm0001626?ref_=tt_cl_t3 (abgerufen 17.2.2019)

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