Poppy (Sally Hawkins), 30, ist eine Frohnatur, die allem im Leben ein Lächeln schenkt und eine gute Seite abgewinnt. Sie lebt mit ihrer besten Freundin Zoe zusammen, mit der sie die Welt bereist hat, feiert samstagnachts mit ihren Freundinnen, bummelt auf dem Flohmarkt Camden Lock im Norden Londons, und geht nach der Arbeit mit Kolleginnen etwas trinken, zum Trampolinspringen oder zum Flamencotanzen.
Frohgelaunt fährt sie mit dem Fahrrad durch die Stadt, und beginnt, als dieses geklaut wird („Ein neues Fahrrad kommt mir nicht ins Haus, das alte ist unersetzbar“), ebenso frohgelaunt und albern Fahrstunden zu nehmen. Hier gerät sie aber an Fahrlehrer Scott, hasserfüllt und unsicher in seiner Männlichkeit wie in seiner Kompetenz als Lehrer. In ihre fröhliche Art und ihre hochhackigen Schuhe dichtet er aufreizende und quälerische Anmache. Wegen ihrer flippigen Kleidung und Aufmachung unterstellt er, sie arbeite in einem Club oder in einem Plattenladen, während er umfassende, nicht anzweifelbare Kompetenz als Lehrer habe („Als Lehrer muss du Bilder erzeugen, das kann ich gut“).
Aber Poppy weiß selbst, was eine gute Lehrkraft ausmacht: Sie ist Grundschullehrerin. Nach einer bis in die Morgenstunden durchtanzten Nacht setzt sie sich mit Zoe, Lehrerin wie sie, zuhause mit Bastelmaterialien hin, um das Thema „Zugvögel“ für ihre jeweiligen Klassen vorzubereiten. Am folgenden Tag rückt sie mit Papiertüten, Farbe und Kleber an und lässt die Kinder Vogelmasken basteln und durch die Klasse flattern.
Selten sind das System Schule und seine handelnden Personen so unaufgeregt und dabei so echt dargestellt worden wie in Happy-Go-Lucky (2008) von Mike Leigh[1]. Sally Hawkins gewann für ihre Darstellung der für viele anstrengenden Frohnatur Poppy einen Silbernen Bären auf der Berlinale. Poppy pflegt gute und enge Beziehungen zu anderen Lehrerinnen und zu ihrer Schulleiterin, Heather. Sie spricht mit ihnen über Privates ebenso wie über besorgniserregende Entwicklungen im Klassenzimmer (etwa, dass die Kinder das ganze schöne sonnige Wochenende über nicht aus dem Haus gekommen seien).
Als einer ihrer Schüler auffallend wird, weil er sich immerzu mit anderen Jungs haut, schaut sie genau hin, geht dazwischen, und kümmert sich um den Unruhestifter. Sie schaltet ihre Direktorin ein, und es kommt ein junger Sozialarbeiter, Tim, in die Schule, der mit ihr zusammen ein liebevolles Gespräch mit dem kleinen Nick führt und den Ursachen bald auf die Schliche kommt. Schulleiterin Heather hat im Vorrübergehen freundliche und private Worte für ihre Kolleginnen, und nimmt Poppy mit zu ihrem Flamencokurs, den sie dienstags nach der Arbeit besucht. Beim Feierabenddrink in der Bar erzählt Heather von ihrer Tochter, die nach dem Schulabschluss erst einmal eine Weile in die Welt hinaus wolle, was Heather bewundert – aber Poppy ja auch gemacht habe, damals, als sie mit Zoe in Thailand in einer Schule gearbeitet habe.
Happy-Go-Lucky ist eine Montage von Alltagsszenen, die uns eine Palette liebenswerter Figuren nahebringt und wie sie ihr Leben leben. Es passiert nichts Weltbewegendes, sieht man von einem hitzigen Gefecht mit Fahrlehrer Scott ab. Poppys fröhliche Art ist nicht mit Oberflächlichkeit oder Dummheit zu verwechseln. Als Scott schließlich völlig außer sich gerät, reagiert Poppy besonnen und verantwortungsbewusst, wie in der Schule: Sie nimmt ihm den Autoschlüssel weg und lässt ihn in diesem Zustand nicht fahren (und fährt auch selbst nicht mit dem Berserker neben sich).
Another Year (2010), ebenfalls von Mike Leigh, zeichnet ein ebenso gelassenes Bild von einem älteren Ehepaar, das in Staatsdiensten arbeitet. Tom (Jim Broadbent)ist Geologe und arbeitet für die Stadtverwaltung, Gerri (Ruth Sheen) ist Beraterin in einem Health Center. Gerri und Tom unterhalten freundschaftliche Beziehungen nicht nur zu Gerris anstrengender Kollegin Mary, sondern kümmern sich auch um den angeschlagenen Ken, einen alten Freund von Tom. Im Jahresverlauf erleben wir Gerri und Tom mit ihren Freunden, ihrem erwachsenen Sohn und dessen Freundin und in vielen kleinen Alltagsszenen, so auch im Health Center mit Klienten/Patienten. Hier gehören die Berufe einfach zu den Filmfiguren; sie füllen diese aus und erledigen ihre Aufgaben ganz selbstverständlich und sehr professionell. Der normale Alltag, das ganze Leben ist eine Abfolge von Arbeit, Essen, Gemeinschaft, Natur (in ihrem Schrebergarten), wobei ihnen ihre Freunde einiges abverlangen und am Ende nicht alles gut ist.
Der Job gehört dazu, mehr nicht
Auffallend sind diese beiden Filme am ehesten im Vergleich mit amerikanischen Mainstreamfilmen. Es geht hier nicht um den Beruf als Sinnstifter oder als Mittel zum sozialen und finanziellen Aufstieg – oder die Angst vor dem tiefen Fall. Es droht kein Jobverlust, kein Wegfall der Krankenversicherung (in Großbritannien, mit seinem National Health Service, der aus Steuergeldern finanziert wird und allen offensteht, sowieso nicht), es geht nicht um Status, Partnerwahl unter kapitalistischen Gesichtspunkten oder gleich die Weltrettung. Der Arbeitsplatz ist hier weder langweilig noch dystopisch, er fügt sich einfach ein, er gehört dazu. Und die Filmfiguren üben ihren Beruf nicht aus, „um zu“, sondern „weil“.
- Happy-Go-Lucky. GB, 2008. Buch & Regie: Mike Leigh.
- Another Year. GB, 2010. Buch & Regie: Mike Leigh.
[1] Die deutschen Blockbuster-Klamotten Fack ju Göthe (2013) oder Frau Müller muss weg (2015) fallen einem unwillkürlich ein, wie eigentlich jede Szene im deutschen Fernsehen, die in einem Klassenzimmer spielt. Okay, auch solche in vielen amerikanischen Klassenzimmern.