Jerry Maguire (1996)

Sportagent Jerry verfasst ein Memo und verteilt es in der ganzen Firma: „Was wir denken und nicht sagen. Die Zukunft unserer Branche“. Auf einen Achtungserfolg folgt – der Rauswurf.

Der letzte Tag am alten Arbeitsplatz: Jerry versucht, seine Klienten zu halten. (c) TriStar Pictures.

Sportagent Jerry Maguire (Tom Cruise) in Jerry Maguire (1996) erlebt auf der Höhe seiner Karriere ein typisches Burn-out, nur nennt er es nicht so und es macht sich auch nicht körperlich bemerkbar. „Ich hasste mich. Ich hasste meinen Platz in dieser Welt. Ich hatte so viel zu sagen und niemanden, der mir zuhörte“, stellt er irgendwann fest.

Sein Radar hatte da Kleinigkeiten wahrgenommen, die sich summierten, Kleinigkeiten in seiner Branche, die alle anderen ganz normal fanden, ihm aber auf einmal nicht mehr normal vorkamen: Die x-te Gehirnerschütterung eines seiner Klienten, eines Hockeyspielers, dessen Sohn ihn nun ein „blödes Arschloch“ nannte, weil er nur noch Floskeln von sich gab; der Basketball-Star, der die Autogrammkarte eines kleinen Fans nicht unterschreiben konnte, weil diese vom falschen Sponsor kam. Wo Jerry Maguire feststellen muss, dass es nicht mehr um Sport, sondern nur noch um Geld geht. So sind die Regeln. Aber war er nicht einmal mit anderen Idealen angetreten, weil er den Sport so liebte?

Was wir denken und nicht sagen“

Auf einem Firmenausflug seines Arbeitgebers, der Sport Management International, nach Florida reißt etwas in ihm, das alles zusammengehalten hatte. In einem Rutsch schreibt er mitten in der Nacht ein 25-seitiges Memorandum, einen Wegweiser, „einen moralischen Leitfaden für unsere Firma“. Die Lösung des Problems sieht er in „weniger Klienten, weniger Geld, mehr Zuwendung für den Einzelnen, für uns, für die Spieler.“ So könnte man wieder anfangen zu leben. Er nennt das Memo „Was wir denken und nicht sagen. Die Zukunft unserer Branche“. In seinem somnambulen Überschwang lässt er davon fix im 24-Stunden-Copy-Shop 100 Exemplare drucken und binden und steckt jedem im Team eines davon ins Postfach. „Ich war 35, ich hatte angefangen zu leben.“

Am Morgen lächeln die Kolleg*innen und wispern angesichts des Memos anerkennend, klopfen ihm auf den Rücken, sagen: „Wurde Zeit, dass das einer sagt.“ Auch Vorgesetzte nehmen seine Initiative scheinbar anerkennend auf. Für kurze Zeit sieht es so aus, als könne einer einfach so so disruptiv agieren, einen Innovationsvorschlag vorstellen, das Geschäftsmodell der Firma in Frage stellen. Sagen, wie es ist – und wie es besser werden könnte. Am Rande der Meute sagt ein Kollege zum anderen: „Ich gebe ihm keine Woche.“

Und so kommt es auch. Zuhause in Los Angeles sitzt er mit seinem Freund, Kollegen, Vorgesetzten und früheren Mentee nichtsahnend beim Lunch, wo dieser ihm kündigt (kein Oberboss, kein Personaler, lass das das Rudel selbst übernehmen). In einem überfüllten Restaurant, in der Öffentlichkeit, um Jerry daran zu hindern, eine Szene zu machen.

Plötzlich selbständig

Als er seine Klienten durchtelefoniert, um sie zu bewegen, mit ihm zu kommen, folgt ihm nur ein einziger: der unberechenbare Basketball-Spieler Rod (Cuba Gooding jr.). Der verlässt sich auf seinen Instinkt, obwohl seine oberste Priorität lautet „Führ‘ mich zum Schotter (show me the money).“ Mit Rod macht sich Jerry selbständig, hier bekommt er die 1:1-Betreuung (weniger Klienten, mehr Zuwendung), die er der Firma empfahl. Aber ein einziger Klient, zumal einer, dessen Aktien gerade unsicher stehen, bringt nicht gerade das große Geld ein, beziehungsweise gar kein Geld.

Nicht nur Rod folgt ihm, auch Buchhalterin Dorothy (Renee Zellweger). Die zeigt sich beeindruckt von seinem Memo, und als er mit seinem kleinen Bürokarton unterm Arm in den Kollegenkreis hinein fragt, wer mit ihm mitkommen wolle (um auf der moralisch richtigen Seite zu stehen), schließt sich die alleinerziehende Dorothy spontan an. Später erklärt sie ihm:


„Es liegt mir viel an dem Job, natürlich, aber eigentlich will ich zuerst einmal inspiriert werden. Ihr Memo war sehr inspirierend. Ich arbeite mit Ihnen bloß wegen dieses Memos.“

Dorothy taugt sehr gut als Identifikationsfigur für Angestellte, die mehr wollen als ein verlässliches Gehalt und eine Krankenversicherung, und die Zweifel hegen, wie es in ihrem beruflichen Leben weitergehen soll. Die junge Witwe lebt mit ihrem kleinen Sohn bei ihrer Schwester, da gibt es nur ein kleines Sicherheitsnetz. Während Jerry in einem leicht umnachteten Moment die Würfel ins Rollen bringt, die Hosen runterlässt und dann ja bereits auf der Straße steht, geht sie in dem von ihm aufgewühlten Strudel ein hohes Risiko ein: Will sie einmal spontan „Ja“ sagen und aufrechten Hauptes aus der Firma marschieren? Nur, weil sie inspiriert ist und glaubt, mit Jerry würde sie mehr Sinn in ihrer Arbeit finden? Offensichtlich! [1]

Der weitere Verlauf von Jerrys selbständiger Agententätigkeit ist zunächst dornenreich und erfolglos, so erfolglos, dass sich Dorothy nach einiger Zeit als seine Assistentin und Büromanagerin[2] nach einem neuen Job umsehen muss, wofür sie nach San Diego umziehen müsste. Das also kann der Preis sein, der zu zahlen ist, will man den eigenen Werten entsprechend leben (und arbeiten). Wir lassen hier mal außer Acht, dass Dorothy bei Jerry einen Job hat, mit dem sie selbst mit viel Fleiß, Power oder Köpfchen nicht wirklich etwas bewegen kann. Sie ist nicht ihres Glückes Schmied, sondern muss sich darauf verlassen, dass ihr Arbeitgeber, der seinen moralischen Kompass wiedergefunden hat, sich final durchsetzen wird. Und das tut er natürlich. So dass sich am Ende manch anderer Sportler fragt, warum er nicht solch eine enge persönliche Beziehung zu seinem Agenten hat wie Rod zu Jerry.

Für wen?

  • Angestellte auf der Sinnsuche;
  • Menschen, die mit dem Gedanken spielen, sich selbständig zu machen;
  • Beschäftigte in der Sportindustrie;
  • Kolleg*innen und Führungskräfte, die wissen wollen, wie sie Haltung zeigen können.

Jerry Maguire. (Jerry Maguire: Spiel des Lebens). USA, 1996. Buch & Regie: Cameron Crowe.


[1] Renée Zellweger hat ein Faible für starke Abgänge aus dem Job. Ein paar Jahre später lässt sie als Bridget Jones ihren Boss (und Liebhaber) Daniel Clever stehen, als sie zu den Klängen von „Respect“ einen großartigen Abgang hinlegt.

[2] Mehr Freiheiten hat sie schon: Sie kann jetzt auch manchmal remote arbeiten, so z.B. als sie das Büro-Telefon auf ihr Heim-Telefon umstellt, und einfach von zuhause arbeitet.

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