Chef*innen, Arbeitsbienen und Kolleg*innen auf der Leinwand. Versuch einer Einordnung.
Warum eigentlich bringen wir den Chef nicht um? fragt der Bürofilmklassiker von 1980, wo es im US-Original noch neutral 9 to 5 hieß und womit eher die generelle Monotonie eines durch die Stechuhr gleichgeschalteten Arbeitsalltags besungen wurde. 30 Jahre später fordert Kill the Boss gleich direkt auf, sich des eigenen Chefs gewalttätig zu entledigen. Ganz friedlich geht es offenbar im Arbeitsleben nicht zu, zumal nicht, wenn es nach dem Willen deutscher Filmverleihe geht. Chef*innen, Kolleg*innen und der Mikrokosmos Arbeitsplatz bieten einen unerschöpflichen Quell zwischenmenschlicher Reibereien, hierarchischen Machtgedröhns, aber auch von Ermutigung und Ansporn. Am Arbeitsplatz kommt der Mensch mit anderen Menschen zusammen, muss sich einfügen, anpassen, durchsetzen, kann auftrumpfen und gesellig, ja mit anderen freundschaftlich verbunden sein. Die Motive, warum wir morgens auf Arbeit erscheinen, reichen vom notwendigen Broterwerb bis zur Selbstverwirklichung, vom Streben nach Status und Macht bis zum Wunsch, mit der eigenen Arbeit anderen Menschen zu helfen oder gleich die Welt zu verändern.
Arbeit ist so essentiell und identitätsstiftend, dass wir, von neuen Bekannten gefragt, was wir „so machen“, als erstes unseren Beruf nennen. So zeigt auch fast jeder Spielfilm Menschen in ihrer jeweiligen Profession. Mit ihren Berufen und ihrer Arbeit werden sie ausgeleuchtet, werden Stereotypen bedient oder Chiffren. Schichtarbeiter oder Friseuse[1] trifft ein schweres Los, Chefarzt oder Galeristin haben es geschafft (und können umso tiefer fallen). Beruf und Arbeit (das kann auch Elternschaft, Ehrenamt oder rein private Schnüffelei sein) geben einer Filmfigur Tiefe, Figuren ohne eine Beschäftigung sind reine Staffage.
Filme, die von der Arbeit erzählen
Und doch gibt es Spielfilme und Fernsehserien, die per se von der Arbeitswelt handeln, und nicht bloß ihre Protagonisten in eine Arbeitswelt oder Branche stellen – je nach Genre. Diese Stoffe erzählen von den Mechanismen von Macht und Teamwork in der Arbeitswelt, von Aufstieg und Fall, davon, wie eine/r etwas bewirkt in der Welt. Manche Filme halten auch semidokumentarisch Produktionsprozesse in einer Ära oder professionelles Handeln in einem beruflichen Feld fest. Jules Dassin dokumentiert in dem Film Noir The Naked City (Stadt ohne Maske, 1948) auf atemlose Art die fieberhafte Polizeiarbeit im New York der 1940er. An realen Schauplätzen auf den Straßen New Yorks gedreht, fängt er dabei nicht nur die Stadt in einer bestimmten Ära, sondern auch die Profession der kriminalistischen Arbeit ein – mit der ganzen Fußarbeit, die dazu gehört.[2]
Häufig können wir als Zuschauer*innen die Wahrhaftigkeit einer Branchendarstellung im Film oder die Ausübung eines Berufs nicht wirklich beurteilen bzw. nicht jeder von uns. Ob Ärzt*innen in Notaufnahme oder Krankenhaus (Emergency Room, Grey’s Anatomy, Chicago Hope, Dr. House, The Good Doctor, The Knick, In aller Freundschaft u.a.), Marshalls, Sheriffs oder Polizist*innen (Justified, Three Billboards outside Ebbing, Missouri, Picket Fences, Twin Peaks, der deutsche Tatort oder Polizeiruf u.a.) oder Investmentbanker und Finanzmanager, die am ganz großen Rad drehen (Wall Street, Margin Call, The Big Short u.ä.): Oftmals sagen die, die sich in dem jeweiligen Feld auskennen, das funktioniere in Wirklichkeit ganz anders (Mordkommission, Pathologie, Schule usw.). Film muss verdichten, auch die zeitlichen Abläufe (wer will jetzt in Echtzeit 6 Wochen auf ein Untersuchungsergebnis warten?), muss aus dramaturgischen Gründen andere Abläufe erfinden, damit auch der Privatdetektiv bei der Leichenschau dabei sein oder der Streifenpolizist Beweisstücke aus der Asservatenkammer verschwinden lassen kann. Im Film dürfen Journalisten wochenlang an einer Story recherchieren, wird der Ölbohrexperte in sieben Tagen zum Astronauten umgeschult, dozieren durchgeknallte Oberkommissare sichtbar untätig herum.
Katharsis mit dem „Tatort“
Hier wird es interessant. Beim sonntäglichen Tatort geht es für die Fernsehnation nicht allein um den Grusel, was einem alles passieren könnte oder in welche Abgründe manche Menschen blicken müssen. Bekommt das Kommissar-Duo seine Leiche nicht rasch genug seziert oder bleibt der gerichtliche Durchsuchungsbefehl trotz schlagender Beweise versagt: Ha! Hier erkennt sich der arbeitende Zuschauer wieder. Das kennt er. Personalengpässe, (fehlende) Machtbefugnisse oder Machtmissbrauch, Bummelei, Ignoranz, pure Doofheit. Das macht ihm Montag wieder das Leben schwer. Aber jetzt leiden für ihn die Kommissar*innen an den Verhältnissen, die nicht so sind. Wenn er könnte, wie er wollte, tja, dann wäre der eigene Arbeitsplatz ein Arbeitsparadies und mit der Arbeit, die er leistet, würde er einen gewaltigen Unterschied machen. Aber so?
Spielfilme und Fernsehserien, die von der Arbeitswelt erzählen, wirken sich auf diejenigen, die sie sich anschauen, kathartisch aus. Fragen Sie sich nicht auch in fast jeder Folge von House of Cards, warum Außenministerin Catherine Durant nicht Präsident Francis Underwood alles vor die Füße wirft? Kann sie auf ihren Status nicht verzichten, ist Aufgeben keine Alternative oder der Dienst für ihr Land erste Bürgerpflicht? Was sind ihre Motive?
Werden Angestellte von ihrem Filmboss drangsaliert, fühlen wir mit ihnen. Ihre Problemlösung mag schrill und übertrieben sein, aber gut, das Resultat überzeugt (meistens). Es ist fast so, als hätten wir das Gleiche bewirkt, uns das Gleiche getraut. Durch diese Spiegelerfahrung mit einer Identifikationsfigur im Film ändern sich auch unsere gefühlte Realität und die Beziehung zum eigenen Chef ein wenig. Der Durchschnittstyp, der gezwungener Maßen durch die äußeren Umstände zum Helden wird (Bruce Willis in vielen seiner Filme), der Boss, der für sein Team über Leichen geht und das sinkende (Raum-)Schiff als letzter verlässt (wieder Willis), die Lieblingskollegin (wahlweise in Personalunion Chefin), die morgens mit dem Kaffeebecher bereitsteht, damit sich die geknickte Heldin das Herz ausschütten kann – sie alle beschwören den Arbeitskosmos herauf und die Beziehungen, die in ihm wirken. Wer sind wir selbst in diesem Figurenensemble? In diesem Drama? Füllen wir unsere Rolle at its best aus – oder ist da noch Luft nach oben? Wie würden wir selbst handeln, was hätten wir gemacht, wenn wir in diese Situation gekommen wären? Wem sind wir in unserem Büro eine Stütze, wen fördern wir oder durch wen werden wir gefördert? Wie sprechen wir mit Chef*innen und Kolleg*innen, und was bewirken wir?
Diese Fragen können wir mithilfe von Filmen und Fernsehserien zu beantworten versuchen.
Auf diesen Seiten will ich Typen und Originale aus Filmen vorstellen, die in verschiedensten Zusammenhängen bestimmte Funktionen erfüllen. Wenn Sie Ihren nächsten Film anschauen: Achten Sie einmal mit neu geschärftem Blick darauf, wie Filmfiguren ihre Berufe ausüben, wie sich Dynamiken am Arbeitsplatz entfalten, und was mit Ihnen geschieht, wenn ein Oberkommissar auf einmal Jandl rezitiert („Tatort – Kein schöner Land“, Erstausstrahlung 08.01.2017).
Sie werden viele neue Entdeckungen machen. Halten Sie sie fest.
Eine Vorbemerkung
Es geht hier nicht im engeren oder umfassenden Sinne um Filmrezensionen oder auch nur darum, einen gegebenen Film in seiner Gänze erfahrbar zu machen. Das überlasse ich anderen. Trotzdem will ich natürlich auch die Lust auf einen Film wecken, oder auch auf ein bewusstes Wiedersehen.
Mein Ziel und meine Leidenschaft sind, Filme aus dem Blickwinkel der Arbeitswelt zu betrachten – das muss nicht zwangsläufig der eigentliche Kern der Filmerzählung sein. Mir geht es darum, wie die Arbeitswelt dargestellt wird, mit welchem Wahrheits- bzw. Realitätsgehalt, um Klischees, um Zuschreibungen, um bestimmte Berufe, um lustig konstruierte Berufe oder Abläufe.
Aber vor allem geht es mir darum, was wir darin für uns selbst erkennen können.
[1] Friseuse wie in dem Film von Doris Dörrie (2010). Oder politisch korrekt Friseurin.
[2] In Thieves Highway (Gefahr in Frisco, 1949) dokumentierte Dassin auf ähnliche Weise die Arbeit und die Geschäfte auf dem und rund um den Fruchthof von San Francisco – samt daran hängenden Erntearbeitern, Farmern, Ladeninhabern, Großhändlern, Halsabschneidern, Handlangern und Glücksrittern, die eine Ladung verderblicher Äpfel weiterzuverkaufen versuchen.