Julian Marsh ist ständig unzufrieden mit seinen Angestellten: Er brüllt sie täglich zusammen und sagt ihnen wütend, wie schlecht und untalentiert sie seien; er lässt sie rund um die Uhr arbeiten, so dass einige schon dabei einschlafen. Zudem frisst ihn eine tödliche Krankheit von innen auf. Dies ist sein finales Projekt, die Krone seines Schaffens, dies wird ihn überleben, daran wird man denken. Die Erwartungen sind entsprechend.
Wen es zur Bühne oder auf die Leinwand zieht, muss ein solches Verhalten seines Arbeitgebers offenbar ertragen, das gehört dazu; davon handeln unzählige Filme, die in Hollywood oder am Broadway spielen. Julian Marsh (Warner Baxter) ist Regisseur und Produzent einer Broadway-Revue in der Mutter aller Revuefilme, „42nd Street“ (Die 42. Straße, 1933)[1]. Der Plot umfasst mehrere Handlungsstränge und leuchtet eine ganze Handvoll Figuren näher aus, ihre Träume, ihre Sorgen, ihre Nöte; auch das Topos „Besetzungscouch“ kommt hier vor.
Regisseur Marsh, jähzornig, unzufrieden, nicht-wertschätzend, wird eher ertragen als respektiert, die Revuetänzerinnen brauchen den Job, es geht ums pure Existieren, nicht um Selbstverwirklichung. In diesem Existenz- und Konkurrenzkampf gibt es einen erstaunlichen Moment weiblicher Solidarität hinter der Bühne: Revuegirl Ann Lowell (Ginger Rogers mit dandyhaftem Monokel, damals noch in einer Nebenrolle; Ruby Keeler war der kommende Star, blieb es aber nicht) macht den verzweifelten Regisseur Marsh auf ihre Kollegin Peggy Sawyer (Keeler) aufmerksam – wenn jemand die Rolle der Hauptdarstellerin, die sich den Fuß gebrochen hat, übernehmen könne, dann nur Sawyer.
Natürlich gipfelt alles in einer Wahnsinns-Show mit sagenhaften Tanzszenen (Choreographien: Busby Berkeley), die Novizin packt ihre kurzfristige Umbesetzung nach einem Tag intensiver Einzelarbeit mit Marsh[2].
Der Film endet mit einer Szene am Theaterausgang: Der Regisseur, völlig erschöpft zusätzlich zu seiner Krankheit, bleibt alleine zurück, nachdem sich sonst verschiedentlich Mann und Frau gefunden haben. Die Theaterbesucher auf dem Heimweg sprechen über die Revue: Tolles Stück, aber was eigentlich der Regisseur dazu beigetragen habe. Sie sprechen damit aus, was die meisten Kinobesucher ahnungslos denken. Eine kleine Hommage an die Ermöglicher eines Gesamtkunstwerks.
42nd Street (Die 42. Straße). USA, 1933. Regie: Lloyd Bacon
[1] Das Viertel in Manhattan, wo sich 42. Straße, Broadway und Times Square treffen, ist der legendäre Theaterdistrikt New Yorks mit der größten Bühnendichte des Planeten.
[2] Regisseur Marsh „motiviert“ den Youngster auf seine Weise: „Sawyer, you listen to me, and you listen hard. Two hundred people, two hundred jobs, two hundred thousand dollars, five weeks of grind and blood and sweat depend upon you. It’s the lives of all these people who’ve worked with you. You’ve got to go on, and you’ve got to give and give and give. They’ve got to like you. Got to. Do you understand? You can’t fall down. You can’t because your future’s in it, my future and everything all of us have is staked on you. All right, now I’m through, but you keep your feet on the ground and your head on those shoulders of yours and go out, and Sawyer, you’re going out a youngster but you’ve got to come back a star!“ https://www.imdb.com/title/tt0024034/quotes/?tab=qt&ref_=tt_trv_qu , abgerufen 1.3.2019. Nicht jede/r kann mit so einem Druck umgehen.